Mit den Namen Pascal Laugier assoziiert man automatisch den 2008 erschienenen "Martyrs" - einen derben Schlag in die Magengrube, der bei jeder weiteren Sichtung nichts von seiner Intensität verliert. "The Tall Man", das neue Werk des Regisseurs, geht weg von körperlicher Gewalt und setzt mehr auf psychischen Horror.
Den Auftakt gibt eine kurze Einstellung, die augenscheinlich das Ende des Films vorweg nimmt, um dann 36 Stunden zuvor einzusetzen. Hier liegt die größte Stärke des Films, da dem Zuschauer nicht klar ist, wie sich das Geschehen entwickelt und ob Laugier einen tatsächlich mit einem offenen Ende zurücklässt. Vielmehr bekommt man nur häppchenweise Informationen, die das Publikum der Lösung um mysteriösen Vermissten-Fälle ein wenig näher bringt. Wir erfahren mehr über die Legende vom "Tall Man", der angeblich in Cold Rock etliche Kinder entführt hat, und von denen bis heute jegliche Spur fehlt. Die gezeigten Bilder vermitteln im ersten Drittel eine fast schon übernatürliche Note, was sich im weiteren Verlauf jedoch relativieren soll. Laugier versteht es, seine Zuschauer in eine bestimmte Richtung zu lenken, sie an der Nase herumzuführen, nur um dann einen Plot-Twist aufzufahren, der nicht vorherzusehen war. Vom anfänglich "übernatürlichen Touch" bleibt dann zwar nicht mehr viel übrige, jedoch ändert dies nichts daran, dass der Spannungsbogen von der ersten bis zur letzten Minute gehalten werden kann.
Die beklemmende Grundstimmung des Films kann durchaus unter die Haut gehen, und obgleich man zu Beginn vielleicht noch der Meinung ist, man würde Laugiers Geschichte durchschauen und sich in einem normalen Horror-Thriller mit eventueller Serienkiller-Thematik befinden, schlägt "The Tall Man" eine vollkommen andere Richtung ein. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen hier vollkommen, und man weiß mit den aufkommenden Emotionen gar nicht umzugehen, so stark spielt Laugier mit der Psyche des Zuschauers. Der Regisseur verliert in keiner Sekunde die Kontrolle über seinen Film und erschuf einen lange nachwirkenden Thriller, der seine sozialkritischen Züge niemals aufgesetzt präsentiert und von der ersten bis zur letzten Minute in den Bann zieht. Auch Jessica Biehl, um die es in letzter Zeit etwas ruhiger geworden ist, agiert fabelhaft und ist die ideal Besetzung für die Hauptrolle in "The Tall Man". Jedoch sollte im Vorfeld nicht allzu viel verraten werden, da man sonst Gefahr läuft, wichtige Elemente der Geschichte vorweg zunehmen.
"The Tall Man" ist nicht nur ein erstklassiger Thriller, sondern bietet ab einem gewissen Zeitpunkt auch das berühmte Kopf-Kino, das den Zuschauer so ungemein beschäftigen kann. Erstklassige Darsteller, sehr viel Spannung und eine Menge kritische Töne machen dieses Werk zu einem echten Erlebnis, das man sich keinesfalls entgehen lassen sollte. Universal Film veröffentlicht die deutsche Blu-ray von "The Tall Man" ungekürzt mit einem FSK-Wendecover. Die Disc ist bildtechnisch wirklich gut, kann im Bereich Ton und Bonusmaterial aber nur bedingt überzeugen. Dennoch eine lohnende Anschaffung.
|